Mit einem kleinen Verzug von sechs Minuten und 127 Tagen konnte am 27. August im Innenhof endlich die Premiere von Molnars Liliom durch die Theater-AG stattfinden: den ursprünglich für den April angesetzten Termin hatte Corona uns genommen.

Gegen Ende des letzten Schuljahres wuchs der Wunsch, trotz der Unmöglichkeit, auf der schon zweimal durch das RaMa genutzten Bühne im Haus der Jugend zu spielen, unser Stück zur Aufführung zu bringen. Also gingen die Theater-AG und das Technikteam ans Werk, bauten eine Bühne im Innenhof auf, brachten Ton und Licht zum Laufen, um nicht gegen die Kaiserstraße anschreien zu müssen, und bauten das Bühnenbild so um, dass es auch im Freien hält. Mit dem gebührenden Abstand zwischen Haushalten konnten so im Innenhof an drei Abenden jeweils 120 Personen in einem so noch nicht dagewesenen Setting zu Gast sein – und es hat funktioniert!

Zu Beginn fand sich unser Titelheld Liliom (Pablo Weller de la Torre) in der Abteilung für Selbstmörder vor der himmlischen Richterin (Isabella Parata) wieder. Was als Spoiler gelten konnte, wurde auf der zunächst ganz in weiß gehaltenen Bühne zur Rahmenhandlung, denn Lilioms Geschichte bis zu diesem tragischen Punkt wurde danach erzählt. Die von Emilia Mehlig und Dina Rensink gestalteten weißen Kartons (mit Anneke Köhler, Luisa Jung und Hanka Scholz) drehten sich, und so wurde durch ihre zweite, bunte Seite, die Atmosphäre des Budapester Stadtwäldchens, eines Vergnügungsparks aus dem frühen 20. Jahrhundert) in die Mainzer Neustadt transportiert. 

Dort lernen sich Liliom, bei den Damen beliebter Ausrufer bei einem Karussell, und seine Julie, Dienstmädchen (Sophia Khalifa), kennen, geraten sogleich in einen Konflikt mit seiner bald-Ex-Chefin, der Witwe Muskat (Sophia Forster) und beginnen eine unheilvolle, in modernen Begriffen nur als toxisch zu bezeichnende Beziehung. 

Dennoch wird Julie ungewollt schwanger, und Liliom und sein kleinkrimineller Freund Ficsur (Noah Henning) planen, den Kassierer der Lederfabrik zu überfallen.

Auch hier hat Liliom kein Glück, ist doch dieser Kassierer (Julius Engl) vorbereitet und sogar bewaffnet. Verzweifelt ersticht sich der (tragische?) Protagonist, …

…wird in das Haus der Witwe Hollunder (Constanze Sprengard, mit Christina Dithmar, Paul Fontheim, David Menzel und Luis Weller de la Torre) gebracht, wo er in den Armen seiner Julie vor den nun dunkelbraunen, die einfache Kate der Witwe symbolisierenden, Kartons stirbt.

Doch damit ist es nicht vorbei – Liliom hat sich vor dem himmlischen Gericht zu rechtfertigen und darf nun noch einmal auf die Erde zurück, um seiner dann sechszehnjährige Tochter Luise etwas wirklich Schönes zu zeigen. Diese Szene hat es in der Adaption von Rogers und Hammerstein in die Literatur- und Fußballgeschichte geschafft, wurde doch für sie der Stadionklassiker „You’ll Never Walk Alone“ geschrieben. Doch Molnar hatte ein anderes Ende vorgesehen, das wir bewusst, weil es uns so befremdet, nicht verändert haben. Liliom weiß sich nicht zu helfen, schlägt seine Tochter, und diese wie seine ehemalige Geliebte verzeihen ihm selbst das. Aus der für alle tragischen Beziehung scheint es keinen für uns erträglichen Ausweg zu geben.

Aus der großen Not, in der Pandemie ohne Bühne, ohne Termin, ohne Schülerinnen und Schüler, die inzwischen Abitur gemacht hatten, dazustehen, hat die Theater-AG so eine große Tugend mit einer selbst gestalteten Bühne, an einem großartigen, individuellen Ort, und mit einer begeisterten Zahl Zuschauer gemacht. Wer weiß, ob das für das Frühjahr 2021 geplante Stück überhaupt drinnen stattfinden will

Dr. Michael Hollmann


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